Parnehnen                       

Krasnij Jar 
Früher ein deutsches Dorf in Ostpreußen Heute ein russisches Dorf in der Oblast Kaliningrad
Bericht
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Bericht 2005 

 

Das Kulturhaus mit dem Club für Kinder- und Jugendarbeit ist ein ehemals wunderschönes, ostpreußisches Schloß.

In den heruntergekommenen Seitenflügeln sind Geschäfte, die Post und eine Bar untergebracht, der genauso hinfällige Mittelteil mit den immer noch wunderschönen Fliesen im Eingangsbereich dient der Kultur. Mit einer finanziellen Beteiligung unseres Vereins gelang es, die geplante Dachreparatur anzuschieben, die Administration hielt sich an die Abmachungen und bezahlte wie geplant den Haupt-Anteil. Unansehnliche, gesundheitsgefährdende Asbestplatten,  wie auch auf dem übrigen Dach, aber neu und regendicht bedachen nun Club und Bibliothek und ermöglichen eine etwas trockenere Arbeit. Aber es regnet noch durch die offenen Fenster des Obergeschosses, und die Wände sind seit Jahren nass und schimmelig. Es ist kalt, denn es kann nicht geheizt werden.

 

 

Die Schwestern Katja und Marina wurden gemeinsam mit 7 anderen Kindern  aus dem Internat Krasnij Jar im Sommer in ein neu eröffnetes Kinderheim in Istrowka bei Tapiau verlegt; bei meinem Besuch im November waren alle Kinder dieser Einrichtung zur Erholung verschickt, zum größeren Teil an die Ostsee und einige in den „Süden“.

 

 

Die Internatskinder von Krasnij Jar werden nicht verschickt, einige von ihnen dürfen an den Wochenenden ihre Familien besuchen, die aber durchweg mit Problemen wie Krankheit und Alkoholismus belastet sind und den Kindern an den Feiertagen nicht überwiegend freudige Erlebnisse zu bieten haben.

Luba und Olga sind Erzieherinnen im Internat. Beide sticken, basteln und häkeln gern und bieten für die Internatskinder eine Interessen - Gruppe an. Sie bekamen eine ziemliche Menge an Stickstoff (natürlich Stoff zum Sticken) und – Garn. Große Freude herrschte  im Haus, die ersten fertigen Arbeiten konnte ich in einem eigens dafür eingerichteten Raum bewundern.

Während der Zeit meines letzten Besuches  verlor die große Katjuscha im Internat ihren Vater durch einen Brand. Ihr Elternhaus am Markt in Tapiau brannte durch Verschulden einer betrunkenen Bekannten ab.

Katja und Marina sind Waisenkinder
Genia, Wowa und Ilja aus dem Internat
haben noch Eltern

 

Pascha K, der in diesem Sommer 6 Wochen Gast bei uns in Hoyerhagen war und während dieser Zeit von 4 Schustern und Orthopädischen Schuhmachern  in das Schusterhandwerk eingeführt wurde, besucht die 10. Klasse der Schule in Taplacken und repariert in seiner Freizeit Schuhe für viele Bekannte. Er trägt dadurch schon jetzt zum Lebensunterhalt der 12köpfigen Familie bei; die Höhe für die Bezahlung für seine Schusterarbeiten setzt seine Mutter Olga fest. Pascha konnte ich bei diesem Besuch die Schusternähmaschine von Schuhmacher  Wolfgang  aus Syke übergeben, und alle Familienmitglieder freuten sich sehr.

Hier hilft er seinem Namenskollegen Pascha bei dessen Winterstiefeln.

den jüngeren Pascha und seine Schwester Marina lernte ich schon 1995 als eines der ersten Kinder im Kinderheim von Tamara in Saretschje kennen. Als das Schulinternat in Krasnij Jar (Parnehnen) seinen Betrieb aufnahm, wurden beide dorthin verlegt, weil nur Waisenkinder einen Platz im Waisenhaus bekommen, wo alles ein bißchen besser, schöner, teurer ist.

 

 

Mein letzter Besuch im Kulturhaus und die damit verbundenen Geschenke wie Strickgarn und – Nadeln,  Stoff, Puppen zum Theaterspielen waren hochwillkommen und Anlass für ein Fest, das die beiden Tatjanas mit den Kindern vorbereiteten und zum 1. Mal in dieser Art durchführten.

Andrej, unser Dolmetscher berichtete für die Zeitung, und die von mir geschossenen Fotos wurden mit veröffentlicht. Freuen würde ich mich, wenn dadurch das  Selbstwertgefühl der Menschen im Dorf wachsen würde.

Diesmal wurde anteiliges Geld für eine geeignete Heizmöglichkeit zur Verfügung gestellt, die Verhandlungen mit dem Bürgermeister wurden noch während meines Besuches bei einem Ortstermin begonnen.

 

Der Bühnenvorhang und das Brautkleid waren Mitbringsel aus Deutschland, die Musikanlage Spende eines wohlwollenden und wohlhabenden russischen Sponsors.

 

Swetas Tochter Inka hat das Lyzeum in Kaliningrad besucht und macht nun eine recht teure Ausbildung zur Zahntechnikerin, auch im Internat – Kaliningrad,

Swetas Mann ist lieb und fleißig – aber oft krank. Bis zum vergangenen Frühling hatte er 1 Jahr lang arbeiten können, aber danach alle angefangenen Arbeiten unfertig liegen lassen müssen, z.B. die in der gesamten Wohnung herausgerissenen Holzfußböden. Sweta war verzweifelt und während dieser Zeit oft sehr deprimiert.

 Nun ist Wita wieder gesund, es gab in der Wohnung und der medizinischen Station neue Fußböden, Türen und Tapeten, alles richtig toll und fortschrittlich; Wita strahlte vor Freude über unser Lob.

Luda und ihr Mann sind Swetas Nachbarn. Nun ist der alte Vater gestorben, das durfte er aber auch, denn er war schon lange bettlägerig gewesen. Nach der Beerdigung wurde auch ich zu einem Imbiß eingeladen in ein sauberes appetitliches Haus. Luda trauert doppelt, ihre Eltern sind nun beide tot, die Kinder und Enkel weit weg, die Heimat in Kirgistan, - Luda hat Heimweh. Sie möchte zu ihren Kindern ziehen und wollte dazu ihr Haus verkaufen. Noch hat sie aber keinen Käufer gefunden, und so muß sie bleiben.

 

Der alte Deduschka (russisch für Opa) in Olchowka ist schon lange unser Freund, er bekam vor 4 Jahren ein Hörgerät, das immer noch funktioniert. Vor 2 Jahren ist seine Frau gestorben, sie hatte den Haushalt gut und ordentlich geführt.

Nun geht es ihm nicht gut, er ist häufig krank, wird nicht gut gepflegt und hat nicht genug zu essen. Zu ihm ist eine alte Frau gezogen, die Alkoholikerin ist. So weiß man nicht, ob Deduschka die Lebensmittel, die wir ihm bringen, selbst bekommt.

Vor wenigen Wochen ist sein Stall abgebrannt, eine Nachbarin hat versehentlich das Feuer verursacht.

 

Diese junge Nachbarin ist die Mutter von Aljoscha. Dieser Junge war uns in der Schule schon mehrfach durch seine freundliche Aufgeschlossenheit aufgefallen; nun erfuhr ich, dass er der Säugling im Haushalt einer uralten Frau war, die wir bei dem 2. Besuch in Krasnij Jar vor 9 Jahren auf ihrem Ofen sitzend fotografiert hatten. Zu ihr, die allein ihre 2 Enkelkinder und ihren Urenkel -  eben Aljoscha -  versorgte, brachten wir damals bei allen folgenden Besuchen Obst und Lebensmittel.

Die Oma wurde eine so gute Freundin, dass sie mir, als sie schon bettlägerig war, von ihrem unter dem Kopfkissen versteckten Wodka anbot. Nach ihrem Tod vor 6 Jahren verloren wir die Kinder aus den Augen. Nun weiß ich, dass die beiden Älteren im Internat lebten, ohne dass ich sie  wieder erkannte und Aljoscha bei seiner Mutter, die die Wohnung der Großmutter übernommen hat. Ljoschas Tante, die ich auch kannte, ist vor Jahren an den Folgen  ihrer Alkoholkrankheit gestorben, seine ältere Cousine lebt seit ihrer Entlassung aus dem Internat bei Vera, einer Nachbarin, die ihr bei der Beendigung ihrer Berufsausbildung hilft.

 

Aljoscha, in der Mitte, kannte ich schon als Baby.

 

Anastassia besucht die 3. Klasse. Ihre Mutter ist Lehrerin an der Schule, eine besonders nette. Sie ist an Hepatitis erkrankt, bei der schlechten Versorgung mit Lebensmitteln keine gute Voraussetzung, ein hohes Alter zu erreichen. Ihre Mutter Marianna versorgt nun also die kranke Tochter und Anastassia, sie arbeitet bei der Post und gilt bei den Leuten im Dorf als ehrlich und zuverlässig.

In der Bibliothek waren seit längerer Zeit keine neuen Bücher beschafft worden, für 50, - Euro von unserem Verein kaufte die Bibliothekarin viele der wunderschönen, in Russland für unsere Verhältnisse sehr billigen Kinder-  und Handarbeitsbücher. Mit den Quittungen in der Hand erkämpfte sie sich bei der Administration wiederum eine  Beteiligung in Form eines Heizlüfters für die beiden kalten, nassen Räume.Wieder in Krasnij Jar sind der Erzieher Wladimir (Wolodja) und seine Frau Luba. Sie waren vor 2 Jahren nach Deutschland übersiedelt und haben

beschlossen, ihr Haus zurück zu kaufen, weil sie Heimweh nach Ostpreußen hatten. Luba kocht wieder für die Schulkinder und Wladimir hat seinen Job als beliebter Erzieher im Internat zurück. Er hat in Deutschland viel Werkzeug für Holzarbeiten mit den Heimkindern gekauft und mitgebracht; ihm fehlt noch eine Drechselbank, die ich ihm schon versprochen habe.

 

„Meine Nadja“, die ich als 12jähriges Mädchen kennen lernte und deren 9köpfige Familie wir jedes Mal besuchen, war auch lange im Krankenhaus, und ihre jetzt 2jährige Tochter musste dort ebenfalls behandelt werden. Nun kann sie wieder arbeiten und für die männerlose Familie verdienen; ihre jüngere Schwester erwartet demnächst ein Baby.

In den Städten und Dörfern im Kaliningrader Gebiet gibt es viele ansteckende Krankheiten; Tuberkulose und Aids, Geschlechtskrankheiten und Hepatitis breiten sich aus, und Alkohol- sowie Drogenmissbrauch verschlimmern die Situation. Bei großen Teilen der Bevölkerung ist die Ernährung mangelhaft, ebenso die Versorgung mit sauberem Wasser und Heizmaterial. Medikamente oder gar Verhütungsmittel sind nur für wenige Menschen bezahlbar, und die Arbeitslosigkeit ist groß.

Weiterhin werden also von uns bedürftige Familien, alleinstehende Kinder, die evtl. mit einem kranken Elternteil zusammen leben und keinen Platz im Heim bekommen sowie

alte Menschen mit Lebensmitteln, Bekleidung und Medikamenten unterstützt. Aljoscha, Nadjas Familie und mein Lieblingsopa gehören dazu.

 

Um Sweta zu entlasten und auch, um sie nicht falschen Verdächtigungen auszusetzen wurde für die Verteilung im Dorf eine Kommission gegründet, das sind Olga K., (weil sie religiös ist, bei allen über jeden Verdacht erhaben), Marianna von der Post und Sweta, die Feldscherin. Sie kaufen bei den verschiedenen Menschen im Dorf selbst erzeugte Lebensmittel wie Kartoffeln, Zwiebeln, Möhren und rote Rüben, natürlich Kohl, Milch und Eier. So bekommen auch andere Dorfbewohner durch den Verkauf eine kleine Verdienstmöglichkeit und Anreiz zur Arbeit.

Grundnahrungsmittel wird der „Dolmetscher – Andrej“ im Großmarkt in Kaliningrad besorgen und bei der Kommission abgeben, die etwa einmal monatlich berät, wer gerade Unterstützung nötig hat. Bis zum Ende Februar sollen die dafür zur Verfügung gestellten 450, - Euro reichen.

Fortgesetzt wird das Projekt „Vorschule“. Für 10 – 13 Kinder werden dreimal wöchentlich Honorar für die Pädagogin Marina, Arbeitsmaterial und einfache Mahlzeiten finanziert. Da es im Dorf seit 7 Jahren keinen Kindergarten mehr gibt, ist dies für viele Kinder die erste Gelegenheit, den Gebrauch von Stift und Schere zu probieren und etwas Sicherheit im Gebrauch von Wörtern und Zahlen zu gewinnen. Tee und Obst oder Kascha (Brei) sind einerseits Anreiz für die Kinder, diese Spielstunden zu besuchen, aber auch für einige von ihnen eine dringend benötigte Mahlzeit und Vitaminversorgung.

Mit monatlich 20 Euro Zuschuss für die Kosten für einen Platz im Wohnheim in Kaliningrad (das sind z. Zt. Etwa 50%) werden inzwischen 5 junge Menschen unterstützt, die ihre Schul- oder Berufsausbildung mit großen Entbehrungen und Schwierigkeiten  beenden können.

„Computer – Andrej“ erteilt vorläufig im Internat keinen Unterricht, bekommt jedoch weiterhin Honorar für die Betreuung und für gelegentliche Reparaturen an den 10 von uns inzwischen verschenkten Computern. Das sind: 3 Computer für Kinder von Internat und Schule, 1 im Lehrerzimmer, 2 in je einer medizinischen Station, 1 im Gefängnis von Tapiau, 1 im Kulturhaus und Museum von Tapiau, 1 bei Dolmetscher – Andrej zur Übermittlung von Berichten und Briefen zwischen Krasnij Jar und hier per Email und 1 bei Computer – Andrej als Reserve- und Austauschgerät.

 

Pascha und der alte Dorfschuster Kola sowie 5 Kinderheime in der Oblast werden seit einem Jahr und zukünftig mit Werkzeug und Material für Schuhreparaturen versorgt.
Besonders Paschas Eltern, Olga und Wenjamin, lassen an alle Beteiligten nochmals herzlichen Dank für die Hilfe ausrichten. Als kleines Dankeschön begleitete Pascha unsere Freundin Nadja Gussewa aus Prawdinsk/Friedland und mich in ein neues Kinderheim in der Oblast Kaliningrad und reparierte dort alle Schuhe, die es nötig hatten, während Nadja und ich mit den Pädagoginnen und Kindern Spielmaterial herstellten: ein „Mensch ärgere Dich nicht“ Spiel und ein Memory

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Nadja Gussewa und ich luden im Sommer gemeinsam mit dem Kinderheim in Schaberau/Istrowka zu einem Seminar für Pädagogen ein. Daran beteiligten sich  20 Personen aus 4 Kinderheimen  der Region.Thema war Herstellung und Gebrauch von pädagogischem Spielmaterial.

Pascha während seiner Schuhmacher-Kurzausbildung

in Deutschland bei 3 verschiedenen Schuhmachernhier

bei Wolfgang Kosch in Syke

Das 2. Seminar wurde in Krasnij Jar unter Nadjas Regie durchgeführt,  (Gestaltung von Raumschmuck) und das 3. ist für das kommende Frühjahr geplant. Die Vorbereitung (Thema: Feste mir Kindern) und Ausgestaltung hat diesmal die Pädagogin Marina aus Krasnij Jar übernommen, eingeladen sind 6 Heime: Krasnij Jar/Parnehnen, Schaberau, Friedland, Gerdauen, Wehlau und Saretschje bei Tapiau.

Diese Veranstaltungen könnten sich zum Selbstläufer entwickeln, brauchen aber finanzielle Unterstützung für Fahrtkosten, Material und Zuschuß zu einer Mahlzeit, die das gastgebende Kinderheim dabei anbietet.

 

Hauptziel unserer Hilfsangebote sind Schule, Kinderheim, die medizinische Station und die Dorfbevölkerung im Dorf Parnehnen und den angeschlossenen Dörfern.

Aber auch zu Einrichtungen wie Krankenhäusern, anderen Heimen, Gefängnissen, Verwaltungen und Kulturhäusern haben die Leute vom Dorf häufig Kontakte.

Und so freuen wir uns also, wenn wir auch dort gelegentlich mit Bettwäsche, Schokoladen-osterhasen und  Geld für medizinischen Bedarf, einer Nähmaschine oder Bastelmaterial ein bisschen helfen können, die schwierigen Lebensbedingungen erträglicher zu machen.

 

 Wir bedanken uns für Ihre Hilfe.