Parnehnen                       

Krasnij Jar 
Früher ein deutsches Dorf in Ostpreußen Heute ein russisches Dorf in der Oblast Kaliningrad
Menschen
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Anna

Anna ist eine junge Frau von etwa 24 Jahren. Eine Mutter hat sie nicht mehr, aber einen Vater und einen Bruder. Der Vater liegt gelähmt im Bett, das heißt eher auf einem Sofa. Er muß gewickelt und gewaschen werden, Anna tut das. Anna füttert ihn auch, wäscht die viele Wäsche, - wie wir heute von ihrem Bruder erfahren haben -  ohne Waschmaschine und Schleuder und ohne fließendes Wasser. Wer das wohl mit Eimern herträgt?

Der Bruder nicht, der hilft auch sonst nicht viel, er sitzt im Rollstuhl und hat keine Beine.

Und er erzählte uns, daß ihm sein Handy gestohlen wurde, als er kürzlich zuviel getrunken hat. Ob Anna dann auch den betrunkenen Bruder einsammeln und ins Bett transportieren muß?

 

Bei unserem 1. Besuch haben wir Anna gesehen, ein schmächtiges Persönchen, das ganz allein diesen Haushalt führt, und zwar so, daß Klaus berichtet, im Haus sei alles pikobello sauber gewesen, und im Krankenzimmer habe es nicht unangenehm gerochen. Natürlich hat Anna kein Auto, für den Bus sicher nur in Notfällen Geld, und natürlich hat sie auch kein Fahrrad. Aber Zeichnen kann sie, sagte der Bruder, der die angebotenen Buntstífte nicht haben wollte aber für seine Schwester erbat. Anna habe im Haus eine Wand bemalt, ob ich das Bild sehen wollte?

Inzwischen hatte der Nachbar die Bettwäsche für den Vater und die besonders schöne Garnitur Bezüge und Handtücher speziell für Anna, die anderen Dinge und die Buntstifte ins Haus getragen und wollte sich aufmachen, auch den Rollstuhl samt Genia und uns dorthin zu bugsieren, aber unsere Zeit war knapp.

Und die Räder des Rollstuhls hingen in einem so unnatürlichen Winkel und völlig schlapp unter dem Gefährt, daß ich fürchtete, er würde bei dieser unnötigen Fahrt durch buckliges Gelände unter seinem "Besitzer" zusammenbrechen.

Annas Bruder Genia wollte meinen Husky "Eldo" eigentlich nicht wieder loslassen. Sein hilfsbereiter Nachbar schiebt oft den "labilen" Rollstuhl.

 

Eine Bitte wagte Genia noch zum Abschied: ein bißchen Geld. "Nur für Zigaretten!" Mein Prinzip: Kein Geld, niemals Geld! machte ihn traurig, und ich glaube auch etwas grantig. Ich dachte an das verschwundene Handy (verschwunden, weil er betrunken war) und an die schmächtige Anna. Und Genia winkte versöhnt zurück.

Wenn Klaus und ich nachhause fahren, bekommt sie das eine Fahrrad, und wenn wir eine nicht zu teure Waschmaschine finden, auch die.

Vielleicht kann sie dann mal Freunde besuchen oder ein Fest, sie ist eine junge, bewundernswerte Frau.

Anna bekam eine Waschmaschine, sie stand verblüfft und wortlos, als Klaus das einfache Maschinchen ins Haus trug. Und Anna bekam das Fahrrad, stumm nahm sie es an und schob es fort. Nächstes Mal werde ich probieren, ob sie auch sprechen kann.

Bei meinem nächsten Besuch vier Monate später im Oktober 2006 habe ich Anja nicht gesehen. Ich erfuhr, daß sie wegen eines Blinddarm Durchbruchs im Krankenhaus liege. Ihr Vater ist im August gestorben. Wolodja hat vom Geld der Parnehnen-Hilfe eine Beihilfe zur Bestattung ausgezahlt.

Ein halbes Jahr später, im Januar 2007, ist Anna mit ihrem Mann fortgezogen in ein anderes Haus.

Der beinamputierte Bruder hat inzwischen den neuen Rollstuhl aus Deutschland bekommen, den ich der Medikalstation von Parnehnen durch eine Spende aus der Nienburger Umgebung überbringen konnte.

Der Nachbar (siehe Bild oben) betreut ihn.